Vorwort:

 

 

 

Wir schreiben das Jahr 2165. Der Terraner Chiisu Anderson lebt seit mehr als zwei Jahren bei den feliden Shantai, einer intelligenten Spezies auf dem fernen Planeten Shan’racue. Im Mittelpunkt eines mächtigen, von seinen Nachbarn nicht zu Unrecht gefürchteten Sternenreichs wird er mit jedem Tag tiefer in eine fremde, exotische wie faszinierende Kultur gezogen.

 

 

 

Eine neue Mission führt sie jenseits der Grenzen des Shantai-Reichs. Was lauert hinter den toten Systemen der Seroif-Ausdehnung? Zu welcher Macht gehören jene Piraten, die sich immer näher an die neuen Kolonien wagen?

 

Nachdenklich, aber mit gebotener Ehrfurcht, betrachtete er die gewaltige, schätzungsweise drei Meter hohe Statue aus poliertem Marmor, die diese Hallen dem Glauben der Shantai nach ebenso beschützte, wie seine Kameraden aus Fleisch und Blut. Mit einem imposanten, sehr real wirkenden Schwert in der Hand und gekleidet in eine aufwendig verzierte Rüstung aus Silber und Stahl, war der grimmig dreinblickende Krieger einer der heiligen, ehernen Wächter, der diese Hallen schon sehr lange beschützte. Seit etwa zweitausend Jahren, wenn ihn seine Erinnerungen an den Inhalt einiger Bücher nicht täuschten. Aber kein Buch konnte einen auf die Atmosphäre im Inneren dieses Gebäudes vorbereiten.

 

Die Wände und jeder Meter des Bodens schien Geschichte und Ehrfurcht zu verströmen. In diesen Hallen waren Kriege geplant und gewonnen worden. Erst die Kriege eines kleinen Staates und schließlich, in einer bemerkenswert kurzen Zeitspanne von nur 150 Jahren, jene interstellaren Konflikte, die das ruhmreiche Sternenreich der Shantai gebildet und zu einer Großmacht hatten werden lassen. Und wenn man die Umstände und Ausgangslage dieser Konflikte kannte, war das keine Kleinigkeit. Wenn es Götter gibt, dann sind die der Shantai sehr mächtig, dachte er und blickte zu den Augen der Statue. Nein, kein wütendes Aufblitzen, also schienen die Götter seine kleine Blasphemie entweder zu ignorieren, oder…

 

Selbst die in aufwendige Uniformen gekleideten Wachen, wirkten wie aus einer anderen Epoche entsprungen. Ihre handlichen, wie tödlichen Impulslaser waren ebenso gut verborgen, wie schlagkräftig. Aber dieses, böse Zungen würden es Kostümspiel nennen, gehörte hier zum äußeren Schein, zur Tradition und offenbar zum guten Ton. Doch die fast feierliche Atmosphäre aus alter Zeit war nur Fassade, genau wie der Anschein eines Gebäudes, dass vor zwei Millennien errichtet worden war.

 

In diesen Räumen und ihrer Umgebung war mit ziemlicher Sicherheit, da war sich der unscheinbar wirkende Mensch von der fernen Erde sicher, mehr hochmoderne Technik verborgen, als ein Besucher auch nur großzügig zu schätzen bereit war. Über die Zahl der verborgenen Sensoren, Kameras und sonstiger Sicherungsgeräte zu spekulieren, die just in diesem Moment auf ihn gerichtet wurden, war müßig.

 

Dass er, ein Mensch von einer fernen Welt, überhaupt dieses Gebäude hatte betreten dürfen, war schon ein Zugeständnis. Ein Entgegenkommen, dass vor allem dem Namen jener Frau zu verdanken war, die gerade einen eigenen, kleinen Krieg hinter den beiden großen Türen des Sitzungssaals führte.

 

Dennoch war er ein Fremder in diesen Hallen. Wie viele Kameras gerade dennoch auf ihn gerichtet waren? Wie viele Sensoren maßen Puls, Herzschlag und Elektrizität seiner Haut? Wahrscheinlich eine ganze Menge. Vielleicht hielt man sogar einen eigenen Einsatztrupp bereit, falls er irgendwas Dummes tat. Nicht, dass er das vorhatte. Ein wenig hing er schon noch am Leben.

 

Gerüchten zufolge, sollte dieses Gebäude sogar einen nuklearen Schlag aus dem Orbit überstehen. Ob dem so war, hatte man zum Glück bisher noch nie herausfinden müssen. Schlicht, weil bisher niemand in der Lage oder gar willens war, die Shantai dermaßen zu verärgern.

 

Das umliegende Caelijan würde solch eine Attacke zwar höchstwahrscheinlich nicht überstehen, oder nur mit großer Zerstörung, aber es gab eben Prioritäten, was so etwas betraf.

 

Und das war in diesem Fall die Sicherstellung der Einsatzbereitschaft der Regierung. Auf der anderen Seite, wer in der Lage war, Tod und Verderben auf den wichtigsten Punkt dieses Planeten herabregnen zu lassen, hatte vorher ganz andere Hindernisse aus dem Weg geräumt. Darunter die Heimatflotte, die Systemverteidigung und schlussendlich die planetare Abwehr. Einige Stimmen munkelten sogar, dass Shan’racue über eine Reihe ganz anderer Waffen verfügte, die es in der Stunde der Not mobilisieren könnte. Mit ziemlicher Sicherheit gab es die eine oder andere experimentelle Waffe, aber um was es sich dabei handelte, war Gegenstand zahlloser Spekulationen. Nach mehreren, wenn auch gescheiterten Invasionen, von denen zumindest die allererste auf dem Boden der Heimatwelt ausgetragen worden war, konnte man aber das Vorhandensein diverser Überraschungen durchaus nachvollziehen.

 

Die in aufwendigen Uniformen Wache stehenden Soldaten des Wachbataillons der Reichsgarde waren ausnahmslos gut trainierte Elitesoldaten. Erfahrene, lang gediente Soldaten, die mit ziemlicher Sicherheit über genug moderne Waffen verfügten, um mit jedem, der wahnsinnig genug war, in diesen heiligen Hallen etwas Dummes zu tun, fertig zu werden.

 

Wenn er denn in der Lage war, überhaupt einen Fuß in dieses Gebäude zu setzen, ohne niedergeschossen zu werden.

 

Im Verlaufe der Geschichte der letzten Jahrhunderte hatte es durchaus einige Attentäter gegeben, die so weit gekommen waren. Aber die Gardetruppe des Palastes war keine zeremonielle, nur mit Schwertern und Hellbarden bewaffnete Einheit, die danach ausgesucht wurde, wie fabelhaft sie sich und das Reich präsentieren konnten.

 

Und selbst wenn dem so wäre, wer einen gut ausgebildeten Shantai mit einem Schwert oder Dolch hatte kämpfen sehen, mochte einer Feuerwaffe nicht mehr die Priorität zuweisen, die er ihr zuvor zugebilligt hatte. Ganz davon abgesehen, konnte man ohne Weiteres davon ausgehen, dass die Fähigkeiten, mit modernen Waffen umzugehen, bei diesen Wachen hier keinen geringen Teil ihrer Ausbildung und des Trainings einnahmen.

 

 

 

Dumpf klangen Schreie hinter zwei großen Flügeltüren, die den Eingang zum großen Sitzungssaal bildeten. Dass die beiden Wachen, die davor ungerührt ihren Dienst versahen, keine Miene verzogen, sagte Chiisu entweder, dass jene Art von Geräuschen hinter den Türen hier als normal erachtet wurden - oder dass sie es nicht eher wagten, die Sitzung zu unterbrechen, bevor Blut unter der Tür hindurch schwappte.

 

Offensichtlich war die Sitzung des Hohen Rats an einen ihrer üblichen Punkte angelangt: Man begann, zu schreien und Argumente auszutauschen, die darin gipfelten, sich zu beleidigen, ohne es offen zu tun. Damit war die Sitzung wenn nicht an ihrem Ende, doch zumindest am Höhepunkt angelangt. Was zumindest die Hoffnung nährte, eventuell rechtzeitig zum Mittagessen zu kommen.

 

Immerhin etwas, dachte Chiisu Anderson amüsiert und warf einen letzten, nachdenklichen Blick auf das gewaltige Schwert, dass die Statue in der Hand hielt. Es war bestimmt über zwei Meter lang und wirkte so, als wäre es gerade erst geschmiedet worden.

 

Was Klingenwaffen anging, waren die Shantai unübertroffen. In einer Zeit der Raumfahrt und interplanetaren Reisen mochte das obsolet wirken, wie eine Verschwendung von Zeit, Talent und Material, aber es gab eben gewisse Dinge, die über Rationalität hinausgingen. Und wer Shantai mit ihrem reichhaltigen Arsenal an Nahkampfwaffen hatte kämpfen sehen, sah diese antiquierten Waffen mit ganz neuen Augen. Unwillkürlich zuckte ein Nerv in seiner Hand, als er sich an jene, im Rückblick nicht allzu kluge Frage erinnerte, die er einst an eine der Shantai gestellt hatte: Für was braucht man im Raumkampf ein Messer oder ein Schwert, wenn man nur Knöpfe drücken braucht?

 

Mittlerweile hatte er selber zumindest die grundlegendsten Techniken gemeistert, was das Führen eines Schwertes oder eines Dolches anging. Grundlegende Techniken. Die beiden Wörter waren, wenn man sie aus menschlicher Sicht betrachtete, in diesem speziellen Fall ein äußerst intelligenter, wie amüsanter Witz. Was hier als grundlegend galt, würde ihm durchaus einigen Respekt auf der guten, alten Erde einbringen. Aber hier wurde was so etwas betraf, mit eindeutig höheren Maßstäben gemessen.

 

 

 

Mit einem lauten Krachen und Knirschen von Holz flogen die beiden drei Meter hohen, verzierten Flügeltüren auf und schlugen laut gegen die Wände. Offensichtlich hatte der Konstrukteur das einberechnet und jetzt machte auch die verstärkte, leicht dunkler wirkende Mauer um die Türen Sinn.

 

Die beiden Gardesoldaten nahmen Haltung an, als die etwa ein Meter fünfundsechzig große Verursacherin des Lärms an ihnen vorbeischritt. Es klang wie ein leises Dröhnen, als die schweren, ledernen Stiefel von Nyrana Na’saku über den polierten Boden stampften. Ein Blick reichte, um zu sehen, dass die Fürstin des ehrenwerten, hohen Hauses Na’saku sauer war. Sauer im Sinne von, dass der erste, der etwas Dummes in Hörweite sagte, besser damit bedient war, sich eine Waffe deren Ladezustand er nicht kannte, in den Mund zu stecken und zu testen, ob heute sein Glückstag war.

 

„Wir sollten eine Horde Alhorne in diese Hallen stecken! Die würden wahrscheinlich bessere Entscheidungen treffen!“, zischte sie laut genug, dass die Umstehenden es kaum überhören konnten. Die grünen Augen funkelten und waren, dank der geschlitzten Pupillen, einem Raubtierblick näher als sonst. Ihre spitzen Eckzähne blitzten wütend hervor, als sie den Mund zu einem verächtlichen Knurren verzog, dass tatsächlich für einen Moment zu hören war. Der lange, pelzige Katzenschwanz machte eine fast peitschende Bewegung, bevor sich die Fürstin wieder im Griff hatte.

 

„Ich könnte die Wachen ablenken, während Laci das Schloss knackt, aber ich fürchte, der Zoo wird wenig begeistert sein, wenn wir die kleinen, pelzigen Kerle entführen“, beurteilte Chiisu die Situation mit gebotenem ernstem Gesicht. Lediglich das Zucken seiner Mundwinkel verriet ihn. Es half nicht unbedingt, dass Nyranas Attraktivität seiner bescheidenen Meinung nach noch einen dezenten Sprung nach oben machte, wenn sie wütend war. Im Gegenteil. Es machte die Sache nicht gerade ungefährlich.

 

Laci’ray, Leibwächterin und Waffenmeisterin der Fürstin, machte eine abwehrende Geste in Chiisus Richtung, die darin bestand, hastig den Kopf zu schütteln und mit den pelzigen Katzenohren zu zucken. Halt die Klappe, wenn dir dein Leben lieb ist, sollte das wohl heißen. Und wenn das von einer Person kam, die so viel von Gnade und sanfter Vorgehensweise verstand, wie ein durchschnittlicher Bewohner von höherer Nullraumquantendynamik, war es eigentlich beinahe schon zu spät und man konnte hoffen, seine Angelegenheiten geregelt zu haben.

 

„Oh, da glaubt jemand, witzig sein zu können!“, fauchte die Fürstin und wandte ihm ruckartig den Blick zu. Ihre Augen verengten sich zu Schlitzen, als würde sie Maßnehmen. Wenn er es nicht besser gewusst hätte, würde er jetzt wohl seinem Instinkt folgen, sich herumwerfen und rennen. Jedoch war die Wahrscheinlichkeit, dass Nyrana ihn nicht einholte, wenn sie es darauf anlegte, ungefähr die Gleiche, wie einen ernsthaften Kampf mit ihr oder Laci’ray zu überleben. So nahe Null, dass es das bloße Auge nicht mehr feststellen konnte.

 

„Wunderbar, du kannst dich gleich zu diesen… Leuten da drin setzen! Die glauben offenkundig auch, dass sie witzig sind. Oder sie hassen mich und haben sich was Neues ausgedacht, um es zu zeigen.“ Das letzte klang leise, fast schon drohend.

 

„Götter, was habe ich ihnen eigentlich getan?“, murmelte sie mehr zu sich selbst, dann traf ihr Blick die Statue. Doch diese schwieg zu dem Thema wohlweislich. Und Chiisu hatte irgendwie das Gefühl, dass jener Wächter, selbst wenn er dazu in der Lage gewesen wäre, den Mund gehalten hätte.

 

Chiisu besaß offenkundig weniger Selbsterhaltungstrieb, denn er trat auf Nyrana zu, legte ihr sanft eine Hand auf den Arm und starrte ihr stur in die grünen Augen, dessen Funkeln er so sehr liebte. „Möchten Myjali eine kurze Aufzählung oder eine detaillierte Erklärung? Bei Letzterem fürchte ich, müssen wir das Mittagessen verschieben. Und das Abendessen.“ Sein Tonfall war so ernst und nüchtern, dass ein uneingeweihter Zuschauer seine Frage für bare Münze hätte nehmen können. Und sich spätestens jetzt gefragt hätte, wieso dieser Fremde einen derartig brutalen Weg des Selbstmordes zu wählen gewillt war.

 

„Ich schau mal, ob ich wen finde, der die Sauerei hier gleich aufwischt“, murmelte Laci’ray und trat betont einen langen Schritt zur Seite.

 

Nyrana hob leicht das Kinn, um ihm in die Augen zu starren. Sie war zwar einen Kopf kleiner als er, doch in diesem Moment war sie bedrohlicher und gefährlicher, als jene Statur hinter ihnen, wäre diese zum Leben erwacht und der Meinung, das Schwert, welches sie trug, einmal nach all dieser Zeit auf die Probe stellen zu wollen.

 

„Ganz schön mutig heute, für ein kleines Äffchen“, bemerkte sie in einem Tonfall, der halb amüsiert, halb knurrend klang. Oder als wäre sie noch nicht sicher, welche Gliedmaße sie zuerst vom restlichen Körper ihres Kontrahenten abreißen würde. Mit etwas Fantasie wirkte ihr dunkelrotes Haar wie ein Strom von Blut, der über sie hinweg floss. Jene Impression machte es nicht gerade einfacher, ruhig und gelassen zu bleiben. Selbst mit all den Meditationstechniken, die er im Laufe der letzten Jahre gelernt hatte, nicht.

 

 

 

In diesem Fall blieb eine philosophische Antwort. „Wenn die Götter wollen, dass ich heute sterbe, dann sterbe ich. Was kann ein Sterblicher da schon tun?“, erwiderte Chiisu mit einem sanften Lächeln und zitierte einen Satz, den die Shantai gerne verwendeten, wenn sie etwas scheinbar Unabwendbares in Angriff nahmen und dennoch damit rechneten, es zu schaffen.

 

„Wenn du so weitermachst, wirst du gleich an ihrer Tafel sitzen und sie verwundert fragen, wie du da plötzlich hingekommen bist“, warf Laci’ray von der Seitenlinie ein. Sie trat näher und musterte Chiisu mit einer Mischung aus Argwohn und einer Prise Amüsement.

 

 

 

Einige weitere Mitglieder des Hohen Rates traten in diesem Moment gemessenen Schrittes mit ihren Leibwächtern aus dem Ratssaal. Einige warfen einen Blick in Richtung Nyrana, der teilweise Ablehnung, bei anderen Anerkennung und bei einem oder zwei auch Respekt zeigten. Nyrana war das jüngste Mitglied des Hohen Rates der Shantai, der prinzipiell höchsten Entscheidungsgewalt des Sternenreichs der Shantai. Das machte diese Sache, wenn man den Ruf ihrer Familie und deren Verdienste betrachtete, alles andere als einfach für die junge Frau.

 

 

 

Verwunderlich, zumindest in Chiisus menschlichen Augen, war das Fehlen einer alleinigen autoritären Führungspersönlichkeit in Form eines Kaisers, Diktators oder anderen Führers. Das war, vor allem, wenn man das doch feudalistische Regierungssystem der Feliden betrachtete, ungewöhnlich. Vielleicht lag es daran, dass der Rat aus dem alten Staatensystem erwachsen war, welches sich gezwungenermaßen, nach der großen Invasion der reptiloiden Draesa vor eineinhalb Jahrhunderten, gebildet und seitdem aus pragmatischer Effizienz nie aufgelöst hatte. Und man bisher bis auf wenige Ausnahmesituationen keiner Einzelperson so viel Macht hatte angedeihen lassen wollen. Sicher, es gab Ausnahmesituationen, wo ein oberster Führer gewählt wurde, vor allem in Krisen- und Kriegszeiten, aber das waren einzelne, sehr kurze Episoden der jüngeren Geschichte, die spätestens mit dem Ende des Konflikts und einer Versammlung wieder zum Zustand einer Aristokratie der großen Familien zurückfiel. Aus der Tradition von Jahrhunderten und vielleicht sogar Jahrtausenden heraus, traute keine der großen Familien ihrer Konkurrenz weiter, als sie sie werfen konnte. Gegen einen äußeren Feind stand man Schulter an Schulter, aber darüber hinaus…

 

 

 

Neben dem Rat existierte eine Art große Volksversammlung, die das zweite, wenn auch schwächere, Standbein der Regierung darstellte. Und hier konnte beinahe jeder eine Position erlangen. Jene Kammer war ein Zugeständnis an all die Planeten und Welten, die mittlerweile von Shantai besiedelt und beansprucht wurden.

 

Fürstenrat und Talshir bildeten eine Regierung, die mittlerweile über ein halbes Dutzend anderer Völker und noch viel mehr Planeten regierte.

 

Der Talshir, eine Versammlung von gewählten Mitgliedern aus allen Schichten und Welten des Sternenreichs, stellte eine weitere Instanz und Kammer der Regierung dar, die über Gesetze und andere Entscheidungen, die das Reich betrafen, abstimmten. Das betraf vor allem zivile und nichtmilitärische Angelegenheiten.

 

In diesem Fall hatte man den Talshir außen vor gelassen, wie es schien. Die Angelegenheit war offenkundig vor allem militärischer Natur. Und darüber lag die Entscheidungsgewalt beim höchsten Gremium, dem Fürstenrat.

 

 

 

Chiisu verschränkte erneut die Hände hinter dem Rücken und fragte laut. „Hat man jetzt beschlossen, bei Laci’ray endlich eine genauere Prüfung ihres Geisteszustandes durchzuführen? Ich denke, wir kennen das Ergebnis doch bereits.“ Sein durchaus betrübter Blick traf die Leibwächterin der Fürstin. „Keine Sorge, meine liebe Laci, wir werden dich besuchen. Jedes zweite Wochenende, ist das in Ordnung?“

 

Laci’ray trat auf ihn zu und legte einen Arm freundlich um Chiisus Schulter. „Keine Ahnung, was passiert ist. Er scheint regelrecht versessen darauf, diese Hallen nicht auf eigenen Beinen zu verlassen, oder was meint Ihr, Myjali?“

 

Nyrana straffte sich und strich mit einer Hand über den faltenfreien, makellosen Stoff ihrer Uniform. „Ihr beide habt Glück, dass Blut aus diesem Stoff nur sehr schwer raus geht. Das hat schon andere heute gerettet. Aber wisst ihr, was die Menschen über Glück sagen?“

 

Jemand trat auf sie zu und räusperte sich. Damit war die Antwort auf diese Frage, die wohl in einem terranischen Sprichwort gipfelte, zunächst offen.

 

Laci’ray drehte sich halb um und nahm eine lockere Haltung an. Natürlich hatte sie das Näherkommen einiger Personen registriert, aber es geflissentlich ignoriert. Der ältere Shantai, der auf Nyrana zutrat und zwei Leibwächter und einen Sekretär im Schlepptau hatte, wirkte amüsiert. Offenbar hatte er zumindest einen Teil der Unterhaltung mitbekommen.

 

„Myjali, Ihr solltet bedenken, dass es sich um eine gute Gelegenheit handelt, diesen Hallen einmal für einige Monate zu entkommen. Neue Welten, Abenteuer und unbekannte Gefahren! Ich würde mit Euch tauschen, aber ich habe mir zu viele Freunde gemacht, die meiner Anwesenheit hier noch nicht überdrüssig genug sind, fürchte ich.“

 

Nyrana setzte ein zuckersüßes Lächeln auf, was selbst Chiisu sagte, dass immanente Gefahr drohte, dass die Sache eventuell doch noch ausufern könnte.

 

„Fürst Zayres, ich bin mir sicher, dass Ihr der Einzige seid, der so denkt. Aber Ihr könnt gerne mit mir tauschen. Ich schätze, Eure Erfahrung wäre in so einem Fall durchaus die logischere Wahl.“

 

Der ältere Mann lachte und zeigte zwei spitze Eckzähne. Mit einem Wink gab er seinen Leuten zu verstehen, einige Schritte zurückzubleiben. Er streckte eine Hand aus und Nyrana ergriff sie nach kurzem Zögern. „Junge Dame, einmal mehr muss ich Euch sagen, Ihr ähnelt eurer verehrten Mutter weitaus mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte. Seht es als Chance, nicht als das, wofür es wohl von einigen gedacht ist. Ich wünsche Euch den Segen der Götter und Erfolg.“

 

„Ich danke Euch, Fürst Zayres. Ihr seid der einzige Grund, wieso ich überhaupt noch erwarte, ein Reich vorzufinden, wenn ich zurückkehre.“

 

Die Katzenohren des Mannes zuckten leicht und er sprach etwas gedämpfter. „Vielleicht haben die Götter ja ein Einsehen und beschließen, dass einige unserer werten Ratsmitglieder schon jetzt ehrenvoll genug sind, um an ihrer Tafel zu sitzen. Oder zumindest, das Essen für die anderen aufzutragen.“

 

„Ich fürchte, Sie wissen ob der Ehre einiger Personen sehr genau Bescheid und wir werden alt und grau, bevor die Götter sich zu diesem Schritt entschließen. Besser hier bei uns, als bei den Göttern. Ich fürchte beinahe, sie sind sich darüber sehr genau im Klaren.“

 

Fürst Zayres schmunzelte amüsiert. „In meinem Fall wäre das keine allzu große Änderung des Zustands, meine verehrte Nyrana. Das wären wohl nur noch ein paar Jahre, wie ich fürchte. In eurem Fall, fürchte ich doch um Eure Nerven, bis es soweit ist.“

 

Er ließ ihre Hände los und trat einige Schritte zurück. Etwas lauter sagte er: „Ich wünsche Euch Erfolg, Myjali Nyrana Na’saku.“ Damit wandte er sich um und schritt gemächlichen Schrittes davon.

 

 

 

Nyrana seufzte und wandte sich in Richtung Ausgang. „Gehen wir. Ich ertrage diese Hallen nicht allzu lange, ohne das Gefühl zu bekommen, die Götter erlauben sich Scherze mit mir. Manchmal frage ich mich, wie wir all diese Kriege gewinnen und ein Sternenreich errichten konnten.“ Beim letzten Teil des Satzes traf ihr Blick den von einigen anderen Ratsmitgliedern, die ihn eisig erwiderten.

 

Als sie die Stufen des Palasteingangs herunter schritten, fragte Chiisu beiläufig: „Und, was hast du bekommen?“

 

Nyrana warf ihm einen Seitenblick zu. „Kopfschmerzen“, erwiderte sie knapp und machte eine theatralische Geste. „Ich glaube, ich bekomme eine Migräne.“

 

„Du weißt, was ich meine, meine Liebe“, erklärte er sanft und gestattete sich ein Lächeln. Niemand beachtete ihn großartig, dafür konnte er die anderen umso mehr beachten.

 

Nyrana öffnete ihre zur Faust geballte Hand und blickte auf den kleinen Chip, den ihr Fürst Zayres beim Händeschütteln übergeben hatte. „Eine gute Frage, mein Liebster. Eine gute Frage.“

 

 

 

Eine dunkle Limousine mit Familienwappen der Na’saku wartete bereits. Nyrana und ihre Begleiter nahmen im geräumigen, hinteren Teil Platz. Als sich die Türen schlossen und eine sanfte Computerstimme die elektronische Abschirmung gegenüber unerwünschten Zuhörern bestätigte, seufzte die Fürstin. Sie lehnte den Kopf zurück ins Polster, schloss die Augen und drückte Chiisu den Chip in die Hand.

 

„Schau es dir an und sag mir, ob meine Kopfschmerzen durch den Inhalt besser oder schlimmer werden.“ Für einen flüchtigen Moment fragte sie sich, wie ihre Mutter, die Götter mögen sie beschützen, dies so viele Jahre ausgehalten hatte, ohne ein Blutbad anzurichten.

 

Chiisu schob den daumennagelgroßen Chip in ein kleines Lesegerät an der Seite und wartete, bis das Sicherheitssystem ihn überprüft hatte. Nach ein paar Sekunden erschien eine positive Meldung auf dem Schirm. Keine Viren, Trojaner oder andere Schadprogramme, sondern lediglich Text, einige Videodateien und gesammeltes Material. Sensordaten, die zum Teil aussahen, als wären sie hastig und aus sehr großer Entfernung aufgenommen. Zumindest bewies sich abermals, dass seine Ausbildung in der Raummarine der Terranischen Freien Union nicht völlig umsonst gewesen war und eine durchaus brauchbare, erste Interpretationen des Materials zuließ.

 

Nyrana öffnete ein Auge und schielte zur Seite. „Und? Mehr Kopfschmerzen oder weniger?“, fragte sie halblaut. Leider hatte ihre Mutter das Geheimnis, den nötigen seelischen Gleichmut zu entwickeln, nicht mehr an sie weitergeben können. Also blieb Nyrana nur, tief ein- und auszuatmen, sowie eine Reihe von Meditationstechniken durchzugehen, die in diesem Fall sowieso nicht wirklich halfen.

 

„Ich fürchte fast, bald werden dir ein paar Kopfschmerzen als bessere Alternative erscheinen.“ Chiisu strich ihr über die Wange. „Sieh es mal positiv, es könnte viel schlimmer kommen.“

 

Nyrana schloss das Auge wieder und enthielt sich einer Antwort. „Weckt mich, wenn es Mittagessen gibt. Oder der Himmel über uns einstürzt. Je nachdem, was eher passiert.“

 

 

 

*

 

 

 

Eine halbe Stunde später saßen sie im Wohnzimmer des villenähnlichen Anwesens der Na’saku Familie, dass über Caelijan, der planetaren Hauptstadt des Planeten auf einem großen, teilweise abgeflachten Bergmassivs, thronte. Der Wächter der Stadt, war eine geflügelte Bezeichnung für jenes Anwesen, dessen Lage zahllose Neider hatte.

 

Vor über einem Jahrtausend errichtet, ermöglichte diese Mischung aus Burg, Festung und Wohnsitz jedem, der hier willkommen war, sich hier aufzuhalten, nicht nur eine wunderbare Aussicht auf Caelijans Skyline, sondern auf seiner der Stadt abgewandten Seite einen wunderbaren Ausblick auf ein schier unendliches, hellblaues Meer. Im Moment wurde die Briese des Meeres jedoch ausgesperrt, wie alle anderen Reize außerhalb der Mauern.

 

Die Fenster des Raums hatten sich verdunkelt, ihn gegenüber der Außenwelt hermetisch abgeschlossen und der Computer hatte einen großen Teil des Raums mit einem Hologramm erfüllt. Jenes Wunderwerk aus Photonen zeigte eine dreidimensionale Sternenkarte, in deren Mitte das Shantai Reich zu sehen war. An den Rändern waren kleinere Reiche zu sehen, farblich hervorgehoben. Je nach Blickwinkel der Anwesenden wurden Bereiche hervorgehoben, oder zusätzliche Informationen eingeblendet.

 

Irgendwo weiter östlich, wenn man die Tür des Raumes als Süden festlegte, lag in einem feinen, höflichen Dunkelblau die Terranische Freie Union. Auch die Menschen hatten sich ihren Platz hart erkämpfen müssen. Mittlerweile waren sie eine der Großmächte, die beinahe so gefürchtet war, wie die Shantai.

 

Die anderen Farben im Hologramm bestanden aus friedlichen Nachbarn, die so klug waren, es mit Diplomatie und Handel zu versuchen, anstatt den Shantai eine Möglichkeit zu bieten, ihre gefürchteten Flotten in Marsch zu setzen. Diese Reiche hatten aus der jüngeren Geschichte jener gelernt, die den Krieg dem Handel vorgezogen und am Ende ihre letzte Niederlage und Eingliederung ins Shantai Sternenreich erlebt hatten.

 

Andere Spezies waren weniger intelligent gewesen - und waren von großen, gefürchteten Reichen mit mächtigen Flotten zu einem Schatten ihrer selbst geworden. Oder, wie es die Shantai ausgedrückten, man hatte all die kranken Äste und Triebe entfernt und nur den Kern übrig gelassen, damit dieser neu erblühen konnte. Fast jeder Gegner hatte mindestens die Hälfte seines Territoriums verloren, die restlichen Planeten waren nach und nach in eine mehr oder weniger selbstständige, interne Unabhängigkeit entlassen worden.

 

Tatsächlich hatte die Eingliederung in das Shantaireich zwar einen nominellen Verlust ihrer Unabhängigkeit bedeutet, auf der anderen Seite bot das Reich auch Schutz und Beistand. Etwas, dass in den letzten Jahrhunderten undenkbar in diesem Teil der Galaxie gewesen war. Und in einer Zeit, wo orbitales Bombardement auf Bevölkerungszentren die Norm gewesen war und sich tief ins kollektive Gedächtnis der Völker eingebrannt hatte, war dies ein durchaus interessantes Tauschobjekt für jene ferne Freiheit. Die meisten Völker hatten erfahren müssen, dass ihre neuen Herren nicht schlechter als die alten waren. Mit dem Unterschied, dass Planeten und Bevölkerung wichtige Ressourcen waren, die man pflegte und schützte.

 

 

 

An der westlichen Grenze des dunkelroten Shantai Territoriums - wenn man sich aus Vereinfachungsgründen für den Moment mit zwei anstatt drei Dimensionen begnügte - begannen die sogenannten toten Systeme. Dies war eine ziemlich gute Umschreibung jener Region, die aus planetenlosen Sternensystemen, oder zumindest mit Planeten, ohne jeden Wert bestanden. Dieser, mehrere Lichtjahre durchmessende Bereich war ein nicht gerade sehr freundlicher Teil des Weltalls, um es einmal freundlich auszudrücken. Es war ein Bereich, der von kosmischen Nebeln, die sich über Lichtjahre ausbreiteten, gewaltigen Asteroidenfeldern und sogar einigen weißen Zwergsternen angefüllt war.

 

Hier und da waren sogar Supernovae entstanden und hatten, was es eventuell einmal an Planeten mit lebensfreundlicher Atmosphäre gegeben hatte, längst verschlungen. Unter all diesen Gesichtspunkten stellte der ganze Bereich das galaktische Äquivalent einer planetaren Wüste da.

 

Einer sehr großen Wüste, die sich sogar auf die Nullraum-Sprungantriebe der Raumschiffe auswirkte. Nicht wenige Schiffe waren in jenen Nebel geflogen und wurden nie wieder gesehen.

 

 

 

Alles in allem war diese Region ziemlich wertlos. Ohne militärisch-strategischen Nutzen, da dahinter kein bekannter Feind, oder irgendeine bekannte Spezies existierte, keine Rohstoffe, die die Mühen wert waren und nicht einmal Welten, die man kolonisieren konnte. Eventuelle Rohstoffe, die man hier finden mochte, gab es weitaus näher in mehr als ausreichenden Quantitäten. Wirtschaftlich motivierte Expeditionen waren also ziemlich sinnlos, wenn man die Risiken und selbst äußerst positive Entdeckungen gegeneinander abwog.

 

Allenfalls mochten diese Regionen für Piraten und andere zwielichtige Gestalten einen gewissen Reiz haben, die sowieso jeden Kontakt zur Zivilisation mieden.

 

 

 

Chiisu räusperte sich und gab an den Computer einen Befehl, welche jene toten Systeme farblich hervorhob. Ein guter Teil des Hologramms verwandelte sich in einen pulsierenden, grün-roten Nebel, der über die Köpfe der Anwesenden hinweg floss. Irgendwie beruhigend, dachte Chiisu sinnierend, bevor er sich mit einem Räuspern dem Infopad in seiner Hand und dem Thema zuwandte.

 

„Das ist die sogenannte Seroif Ausdehnung.“ Wasserleere Wüste. Wie poetisch die Pelzohren manchmal doch sind, dachte er amüsiert. „An der dünnsten Stelle etwa drei oder vier Dutzend Lichtjahre breit und gleichzeitig gefährlich für jeden Raumverkehr. Die ganze Region besteht aus toten Systemen ohne jeden Wert. Ein galaktisches Stück Einöde, wenn man es so möchte. Die Kommunikation ist schwierig, im besten Fall löchrig und nur mit Relaisketten zu bewerkstelligen. Bojen und andere Sonden werden von den mannigfaltigen Phänomenen gestört, beschädigt oder verschwinden einfach aus unerklärlichen Gründen. Die Ausdehnung des Reichs hat vor jener Region bereits vor Dekaden gestoppt und sich in andere Richtungen fortgesetzt. Pragmatisch und nachvollziehbar.“

 

Nyrana nickte langsam. „Richtig. Wir haben zum größten Teil unbemannte Überwachungsstationen an der Grenze zu den Nebeln postiert, nur für den Fall, dass dort irgendwann irgendwer einen Weg hindurch finden könnte, der dem Reich nicht wohlgesonnen sein mag. Außerdem gibt es eine Reihe von Forschungsstationen, die dieses Gebiet untersuchen, warum auch immer. Vor etwa fünfzehn Jahren hat das Reich dennoch eine Expedition aufgrund einiger Informationen privater Expeditionsunternehmen in diese Region entsandt…“

 

Chiisu nickte und das Bild im Hologramm wechselte zu Archivaufnahmen einer Reihe von Schiffen, die in den Nebel einflogen. „Richtig. Mit den zu dieser Zeit brandneuen, verbesserten Antriebssystemen, sowie geschützten Systemen, um dem natürlichen Störfeuer in diesen Teilen des Weltalls besser widerstehen zu können, war ein Durchflug mit höherer Geschwindigkeit möglich. Aus sechs Monaten wurden vier Wochen. Bis auf wenige, kleinere Probleme war jene Expedition erfolgreich. Damals waren das höchstexperimentelle Antriebe, heute ist man ein gutes Stück weiter. Genauer gesagt, mehrere Generationen, was die Technologie betrifft, um diese karge Wüste sicher zu durchqueren.“

 

„Wenn du in einer Wüste Urlaub machen willst, Äffchen, fallen mir ein paar karge Gegenden ein, die wesentlich näher liegen“, erklärte Laci’ray gelangweilt und mit halb geschlossenen Augenlidern. Sie tat so, als würde sie das alles äußerst langweilen, doch in Wahrheit nahm sie jedes Detail auf. Details waren wichtig und konnten über Leben und Tod entscheiden.

 

„Das ist eine kosmische Wüste, Laci. Die Strahlung in den Systemen dringt sogar in den Nullraum vor, was die Sprungantriebe beeinträchtigt. Die Sprünge kosten wesentlich mehr Energie und sind ironischerweise beträchtlich kürzer, außerdem gibt es eine Chance, dass sich die Antriebe überladen“, erklärte eine amüsierte Stimme neben Laci. Mit dem Kopf nur wenige Zentimeter über dem Boden baumelnd und das Hologramm kopfüber betrachtend, schob Ciantary einen bunten Lutscher von einer Mundseite in die andere. Ihre beiden blonden Zöpfe lagen wie tote Schlangen über dem Boden. So fehl am Platze sie für einen unbedarften Beobachter hier wirken mochte, so genau kannte sie sich mit jenen technischen Spezifikationen aus, die des Rätsels Lösung in dieser Problematik waren.

 

„Eine Abschirmung der Sprunggeneratoren aus einer speziellen Legierung ist nötig. Wenn du möchtest, kann Ciantary dir gerne ausführlich erklären…“

 

„Danke, das reicht mir schon“, stöhnte Laci’ray und klappte die Katzenohren ein. „Zu viele Wörter, um zu sagen, dass man dort mit etwas Pech strandet und nie wieder nach Hause kommt.“ Ein gelangweiltes Ohrenzucken und schließen der Augenlider folgte.

 

„Mit Unterlichtgeschwindigkeit nur etwa 30 bis 40 Jahre“, fügte Ciantary leise hinzu und breitete die Arme aus, sodass ihre blonden Zöpfe zu den Seiten flogen. „Außer natürlich…“ Sie unterbrach sich und blickte zu Chiisu, der mit einem Schmunzeln gewartet hatte und nun mit einem neuerlichen Räuspern und Befehl an den Computer die ganze Angelegenheit weiter zusammenfasste.

 

„Nun, die damalige Expedition ist zu jener Zeit durch die Seroif Ausdehnung geflogen und hat das andere Ende erreicht, wenn ich das so formulieren darf. Dort gab es eine nicht gerade kleine Überraschung. Direkt hinter dem Nebel existieren bisher unbemerkt eine ganze Reihe von Sonnensystemen mit Planeten der Shan’racue Klasse im Sonderangebot, wenn der menschliche Begriff gestattet ist. Jene Systeme bieten alles, was Lebensformen wie wir benötigen. Planeten mit Sauerstoffatmosphäre, genug Wasser, der richtige Abstand zur Sonne für eine angenehme Temperatur, eine für unsere Verhältnisse akzeptable, ja geradezu ideale Biosphäre. Dazu Monde für Gezeiten der Meere sowie kein intelligentes Leben, dass einen Anspruch erheben könnte oder Hinweise auf irgendwen, der Anspruch erhoben hätte und aktuell lediglich abwesend ist. Von den Rohstoffen fange ich gar nicht erst an und wahrscheinlich haben sie bei diesen Berichten nur vorsichtig an der Oberfläche gekratzt. Ein Glücksgriff, würde ich sagen.“ Das Bild wechselte und zeigte weitere Schiffe, die von großen Raumstationen abdockten und dann einige Sequenzen später in den Nebel einflogen. Die Datumsanzeigen zeigten, dass Jahre zwischen den Aufnahmen lagen.

 

„Alle paar Jahre wurden Scouts losgeschickt, die in der Regel mit neuen Informationen, aber vor allem besseren Konfigurationen für Antriebe zurückgekehrt sind. Immer wurden die Antriebe etwas besser kalibriert und aus kleinen Spezialschiffen wurden größere Schiffe mit mehr Personal, mehr Equipment und all den schönen Sachen, die man für eine ausführliche Kartographierung von Sonnensystemen benötigt. Für eine größere Expedition, geschweige denn Ausbeutung oder Erschließung der Systeme gab es bisher jedoch wenig Grund. Zu jener Zeit hatte das Reich andere Prioritäten und genug Planeten, die wesentlich näher lagen.“

 

Laci’ray nickte langsam. „Schön. Und das ist also unser Ziel. Warum? Wegen einigen Echos auf den Sensoren? Das klingt wirklich nicht sehr aufregend. Oder sollen wir die Kolonisierung überwachen? Wie langweilig…“

 

Chiisu räusperte sich. „Und damit sind wir am Kernproblem angelangt. Beinahe seit dem ersten Errichten der ersten permanenten Außenposten vor etwa fünf Jahren gab es Sichtungen von unbekannten Schiffen. Zunächst haben sie nur sporadische Aufklärungsarbeit betrieben, blieben außerhalb der primären Sensorreichweite der planetaren Systeme. Sie waren entweder sehr ängstlich, oder aber zumindest sehr vorsichtig.

 

Vor etwa einem Jahr kamen sie näher, haben sich näher an unsere Schiffe herangetraut. Wir haben einige Scans aus immer noch zu großer Entfernung, was uns nur wenig Informationen bringt, die nicht über das Aussehen und einige Energiemessungen hinausgehen. Die Schiffe, die am nächsten an jenen Unbekannten dran waren, haben die Erstkontakt-Prozedur 27 mal durchgeführt. Dabei gab es jedoch keinerlei Reaktion oder gar Antwort.“

 

Kurz ließ er einige verschwommene Bilder in der Mitte des Raumes entstehen. Die Schiffe wirkten etwas klobig, fast schon kantig. Keine abgerundeten Ecken, eher nüchtern und zweckmäßig. „Die Schiffe rangieren von kleinen Korvetten bis zu Kreuzern, wenn wir sie mit der Größe von Shantai-Schiffen vergleichen. Das sagt natürlich nichts über ihre Leistungsfähigkeit aus.“

 

„Was wissen wir noch darüber?“, fragte Nyrana knapp und mit deutlich größerem Interesse.

 

Chiisu nickte und änderte das Hologramm mit einem kurzen, verbalen Befehl. Der Chip, den Nyrana erhalten hatte, hatte weitaus detailliertere Informationen erhalten, als zunächst gedacht. Wenn man in dem wenigen, was sie wussten, von detailliert sprechen konnte. Aber es war besser, als gar nichts. Und immerhin hatten sie die Informationen freiwillig zugespielt bekommen.

 

„Die Unbekannten verfügen über einen ziemlich guten Antrieb, zumindest, aber mindestens gut, wie der der Flotte, die die Seroif-Ausdehnung durchflogen hat. Sie haben sich auf die Umstände dort besser eingestellt als wir. Ihre Flucht führte sie regelmäßig in jene schwer zu durchfliegenden Regionen.

 

Bei den wenigen direkten Annäherungen, die von diesen Schiffstypen auf Konvois oder Außenstationen erfolgt ist, müssen wir aber davon ausgehen, dass ihre Waffen entweder unterlegen sind oder aber sie uns ihr Potenzial verheimlichen wollen. Nach den ersten vorsichtigen Näherungen der fremden Schiffe konnten die Wachgeschwader der Systeme jeden tieferen Vorstoß abwehren, wobei ich hinzufügen möchte, dass sich der Gegner zu keinem Gefecht gestellt hat, sondern sofort den Rückzug angetreten hat, als er auf härtere Gegenwehr als bewaffnete Frachter traf.“

 

„Feiglinge. Und was sollen wir jetzt da?“, fragte Laci’ray gedehnt. Sie war eher für einen engeren Kontakt mit dem Gegner. Messer- oder Schwertdistanz. Oder, wenn es ihr danach war, noch näher.

 

Raumkämpfe waren für sie eine langweilige, technische Sache, bei der irgendein Idiot Knöpfe drückte und dann war alles vorbei und irgendwer war tot. Das war keine Art, einen schönen Kampf zu führen. Wo war da das Blut, die Schreie und das Entsetzen beim Gegner?

 

Nyrana seufzte und wackelte mit den Ohren. „Rate Mal, wen der Rat in seiner unendlichen Weisheit auserkoren hat, die ganze Angelegenheit dort zu überwachen, zu koordinieren und sich um dieses… Problem zu kümmern?“

 

Ein Schmatzen und ein nachdenkliches Geräusch erklangen von der Seite. „Ciantary möchte hinzufügen, dass unsere Dreadnought Na’saku nicht über den entsprechend kalibrierten Antrieb verfügt. Es dürfte etwa zwei Monate dauern, bis Ciantary ihn nachgerüstet hat. Im Idealfall und unter der Voraussetzung, dass gewisse bürokratische Hürden umgangen werden können.“

 

Nyrana blickte zu der blonden jungen Frau, die nach ihrer bescheidenen Meinung das größte Technikgenie dieser Generation war. Unorthodox und selbst nach großzügiger Auslegung näher an der verrückten Wissenschaftlerin als Ingenieurin, war sie dennoch so unglaublich talentiert wie seltsam.

 

„Man sagte mir in der Werft, vier Monate wäre realistisch, wenn ich mit vollen Händen Geld um mich werfe und man andere Projekte zurückstellen würde. Aber das ist insoweit irrelevant, wir müssen schon in einer Woche aufbrechen. Man stellt uns die Schiffe, die Mannschaften ebenso. Wir können sie ergänzen, aber im Grunde haben wir darüber nur wenig Verfügungsgewalt.“

 

„Piratenjagd? Das klingt lustig“, befand Ciantary in kindlicher Unschuld. Sie hatte, was Gewalt und Blutvergießen anging, eine eher verklärte Ansicht. Für sie war es ähnlich wie in Videospielen, etwas Entferntes, dass sie selber selten betraf. Was auch daran liegen mochte, dass sie keine sonderlich begeisterte Kämpferin war. Damit war sie eher eine Ausnahme bei den Shantai, andererseits verfügte Ciantary über die technischen Fähigkeiten, um jeden, der ihr wirklich etwas Böses wollte, kreativ wie endgültig und ohne allzu viel moralische Hemmnisse aus dieser Welt zu befördern. Wenn es sein musste. Und das machte sie, nüchtern betrachtet, mindestens so gefährlich wie Laci’ray, die kein Problem darin sah, jemandem vom Leben in den Tod zu befördern. Ironischerweise stellte für sie jedoch die Konzipierung und Herstellung von Technologien und Maschinen, die als nichts anderes als Waffen taugten, durchaus eine amüsante, wie kreative Beschäftigung dar.

 

Chiisu schüttelte den Kopf. „Das ist nur der Vorwand. In Wahrheit ist die Mission wesentlich umfangreicher, nicht wahr, Nyrana?“

 

 Die Fürstin seufzte und schlug die Augenlider nieder. Ihre Katzenohren zuckten kurz als Zeichen der Bestätigung. „So ist es. Unsere Späher haben, nachdem wir in der Umgebung weitere Basen errichtet hatten, die umliegenden Systeme gründlicher erkundet. Offensichtlich ist auch diese… nennen wir es Insel nach einigen Lichtjahren auf der gegenüberliegenden Seite von Nebelsystemen umgeben. Auf deren gegenüberliegenden Seite gibt es offenbar normale Systeme sowie eine ganze Reihe fremden Spezies. Es existieren außerdem kleinere Basen in der uns abgewandten Seite der Seroif-Ausdehnung, die zu den Piraten oder anderen Elementen, die sich von ihren Regierungen abgespalten haben, gehören. Das ist jedoch nur eine Theorie, die darauf fußt, dass unsere Besucher Piraten sind und keine von den dortigen Spezies beauftragten Späher. Unsere eigenen Schiffe haben sich bedeckt gehalten und unter höchster Geheimhaltung operiert.“

 

Chiisu gab einen kurzen Befehl und das Hologramm veränderte sich. Tatsächlich waren die neuen Kolonien von jenen unwirtlichen Systemen geradezu eingeschlossen. Die kolonisierbaren Systeme inmitten der Nebelregionen wirkten wie eine kleine Oase in einer kargen, unwirtlichen Wüste.

 

„Was wissen wir über die Spezies, die dort leben?“, fragte Laci’ray.

 

Chiisu zuckte mit den Schultern. „Nicht viel, um ehrlich zu sein. Einige Namen und Begriffe, aber sonst nichts. Wir haben nur wenig Funkverkehr aufgefangen und sind noch dabei, die Sprache zu entschlüsseln. Oder eher, Sprachen. Es sind mehrere, wir können also von einer Reihe von Spezies ausgehen. Vielleicht sogar eine Allianz oder etwas Vergleichbares.“

 

Die Fürstin setzte ein nachdenkliches Gesicht auf. Die Implikation einer Allianz konnte Gutes, aber auch Schlechtes beinhalten. Die bekannten Allianzen in dieser Region des Alls waren vor dem Betreten der komischen Bühne der Shantai lose Bündnisse auf Zeit gewesen, die genauso oft gebrochen, wie geschlossen worden waren. Aber das musste nicht zwangsläufig so sein. Eine Allianz konnte, wenn sie richtig organisiert und auf den gleichen Werten fußte, eine mächtige Waffe oder Gegner darstellen. Die Shantai bewiesen es mit ihrer ganz eigenen Form von Allianz. Wenn man das Sternenreich so bezeichnen wollte.

 

 „Unsere Aufgabe wird es sein, die neuen Kolonien zu organisieren, eventuell die Verteidigung zu koordinieren und uns mit unserem neuen Nachbarn unterhalten und hoffentlich eine Koexistenz arrangieren“, rekapitulierte die Fürstin ihre Besprechung im Rat. „Wir müssen im Hinterkopf behalten, dass wir die Reichsflotte nur langsam und im Moment sogar nur einen sehr kleinen Teil in diese Region verlegen können. Wenn sich unsere Nachbarn dessen bewusst werden und zum Angriff entschließen, haben wir ein nicht zu unterschätzendes Problem“, fügte Nyrana hinzu.

 

Wäre dieser verdammte Nebel nicht, hätte man schon längst eine Expeditionsflotte aus Schlachtschiffen, Kreuzern, Trägern und ein paar Dreadnoughts entsandt, die sich der Piraten und ihrer Basen angenommen hätten. Vielleicht sogar die Na’saku selber. Die Dreadnought der Na’saku Familie würde durch jede Flotte, die Piraten im Stande waren aufzubieten, Durchflügen, wie ein im Feuer erwärmtes Gardeschwert durch Butter. Doch das stand leider nicht zur Debatte.

 

„Piraten? Ein Problem? Ich sehe keinen Zusammenhang“, murmelte Laci’ray und streckte sich. „Vielleicht bekomme ich ja doch noch etwas zu tun und muss mich nicht langweilen.“

 

Nyrana warf erst ihr, dann den anderen beiden einen Blick zu.

 

 Chiisu lachte leise. „Wir finden ein paar Piraten für dich, keine Sorge. Vielleicht sogar einen mit Augenklappe, Holzbein und Papagei auf der Schulter.“

 

Verwirrte Blicke trafen ihn. „Ist das so ein Äffchending?“, fragte Laci’ray interessiert. Ihr Blick wanderte zu Nyrana. „Und die haben es in den Weltraum geschafft? Was sagt uns das über den Humor der Götter?“

 

Nyrana erhob sich. „Das war’s, mehr haben wir im Moment nicht. Gehen wir etwas essen. Ich habe genug von Piraten, Nebeln und Expeditionen durch Wüsten. Und dann schauen wir, welches Schiff in der Lage ist, uns zu unserem Ziel zu bringen. Ich mag die Umstände nicht, aber wenn das Reich befiehlt, folgen wir.“

 

 

 

*

 

 

 

Eine der größten Werften des Reichs befand sich nahe dem größeren der beiden Monde von Shan’racue. Die gewaltige, mehrere Kilometer durchmessende Raumstation war mit fieberhafter Aktivität erfüllt.

 

Für den regulären Verkehr und Zivilisten zur Zeit gesperrt und mit wesentlich mehr Patrouillenbooten gesichert als sonst, war die Werft aktuell das Zentrum der Umrüstung für die Expedition in die neue Welt, wie man es scherzhaft nannte.

 

In den inneren Werftdocks der gewaltigen Anlage ruhten ein Dutzend Kreuzer, zum Teil mit demontierten Antriebsaggregaten, andere mit offenen Flanken. Schwerstee Panzerplatten waren entfernt worden, um an wichtige Systeme zu gelangen und diese zu ersetzen.

 

Jene unzähligen Arbeiter und Roboter wirkten wie winzige Insekten, die auf einem Elefanten herumkletterten, wenn man sie mit den gewaltigen, dunklen Leibern der Schiffe verglich. Unzählige Shantai, echsenhafte Draesa und Angehörige von zwei, drei anderen Völkern waren dabei, die Schiffe für die Mission bereit zu machen. Die hohe Zahl an Drohnen und bewaffneten Soldaten war ebenfalls ein gutes Zeichen, dass hier etwas Wichtiges im Gange war.

 

 

 

Weitere Bauslips außerhalb der internen Werft waren bereits mit schlanken, zu einem guten Teil schon beinahe vollständigen, neuen Rümpfen für Zerstörer und Kreuzern gefüllt. Auch hier waren hunderte von Arbeitern, Robotern und Drohnen dabei, die Hüllen so rasch wie möglich fertigzustellen. Jene Schiffe waren bereits dafür auserkoren, den neuen, besseren Antrieb zu erhalten, ohne dass umfangreiche Modifikationen und zeitraubende Zwischenlösungen implantiert werden mussten.

 

Doch diese Schiffe waren noch Monate von der Fertigstellung entfernt. Sie hatten bereits die neusten Verbesserungen und Optimierungen erhalten, die bei jenen Schiffen, die mit aufgerissenen Innereien in den inneren Docks lagen, bis auf Weiteres und nicht ohne größere Verzögerungen möglich gewesen waren.

 

Bis die neuen Schiffe einsatztauglich waren, mussten jene Zwischenlösungen und Umbauten herhalten, die weitaus aufwendiger und komplexer waren, als zunächst gedacht.

 

Doch die modulare Bauweise ermöglichte es zumindest, Baugruppen und Teile einfach herauszureißen und durch neue zu ersetzen. Aber das machte es nur einfacher, nicht weniger aufwendig. Was jedoch in diesem Fall noch andere Probleme nach sich zog.

 

Der neue Antrieb benötigte mehr Platz, mehr Energie und eine Reihe von weiteren Anschlüssen zum Computersystem und Sicherungssystemen an den Reaktoren. Sensorsysteme mussten ebenfalls ausgetauscht werden, um den Antrieb mit wesentlich mehr und genaueren Daten des umliegenden Raums zu versorgen. Alles in allem, war die ganze Sache nicht nur teuer, sondern auch zeitaufwendig.

 

Aber dennoch im Moment die einzige Möglichkeit, die Ausdehnung mehr oder weniger unbeschadet und in annehmbarer Zeit zu durchqueren. Für unbeteiligte mochte heilloses Chaos in der Werft herrschen, doch für eingeweihte war es geplantes Chaos. Strikte Zeit- und Arbeitspläne sorgten dafür, dass ein maximales an Effizienz erreicht wurde.

 

 

 

 „Wenn man das Zeitfenster betrachtet, könnte man glatt glauben, es steckt Absicht dahinter, uns mit so wenig Schiffen und Ausrüstung loszuschicken…“, murmelte Laci’ray. Sie hatten einen sehr langen Tag mit dem digitalen Äquivalent von Papierkram verschwendet, bis die Fürstin eine Reihe von Datenpads durch den Raum geschleudert und beschlossen hatte, die Werft mit den Schiffen, die zu jener Expedition abgestellt waren, persönlich zu besuchen, um sich selbst ein Bild zu machen. Nyrana Na’saku starrte schweigend durch das Panzerglas, welches den Beobachtungsraum von den eigentlichen Werftanlagen abschottete. Zugegeben, der Blick auf die dort liegenden Schiffe war imposant und beeindruckend. Ein Standard-Kreuzer maß 750 Meter Länge, war etwa ein Drittel so hoch und breit. Alleine die beinahe pechschwarze Farbe mit einigen silbergrauen Elementen verschaffte diesen Schiffen eine bedrohliche Aura.

 

Stundenlang hatte sie Möglichkeiten im Kopf gewälzt, mit etwas mehr Feuerkraft zu dieser Mission aufzubrechen. Aber egal wie sie es anstellen würde, wem sie mehr Geld bot, ihr eigenes Schiff, die Na’saku, war nicht verfügbar.

 

Das hatte selbst Ciantary mit hängenden Öhrchen eingestanden, als sie mit allen möglichen - und wahrscheinlich gegen jede Sicherheitsvorschrift verstoßenden, zeiteinsparenden Maßnahmen in Gedanken schließlich zum hundertsten Mal durch war.

 

Nun, von der anderen Seite, der jener Völker jenseits des Nebels, war vielleicht eine von den Neuankömmlingen entsandte, waffenstarrende Dreadnought, die es mit einer ganzen feindlichen Flotte aufnehmen könnte, kein sonderlich gutes, friedliches Zeichen. Würde es Krieg geben? Der letzte war fast eine Dekade her, alles was in dieser Zeit lag, waren Scharmützel und einige Expeditionen in Stärke, wie man es blumig umschrieben hatte. Nichts davon war mit der vollen Mobilisierung und Einberufung der Streitkräfte auch nur annähernd zu vergleichen, die frühere Konflikte nötig gemacht hatte.

 

 

 

 

 

„Mit welchem dieser Schiffe werden wir fliegen?“, fragte Chiisu und berührte mit zwei Fingern die Wand vor sich. Ein kleines Display erwachte zum Leben und zeigte eine Liste von Schiffsnamen. „Wir werden die Tiashi nehmen“, erklärte Nyrana, ohne hinzusehen. „Schwerer Kreuzer, 400 Mann Besatzung, Telroga-Klasse“, dozierte Chiisu nach einem Blick auf ein Bild des Schiffes aus dem Gedächtnis. Diese Schiffe waren das Arbeitstier der Flotte und gehörte zum Besten, was die Shantai aktuell aufbieten konnten.

 

Sie waren schnell, hatten eine gute Bewaffnung, bestehend aus Impulskanonen, der wesentlich verbesserten Version von einfachen Laserwaffen, sowie einem gut gefüllten Magazin an Lenkwaffen aller Art. Angefangen von Schiffskillern, bis zu mit der neusten Technik vollgestopften Stör- und Ablenksystemen, um feindliche Systeme zu stören oder zu überlasten.

 

Die primäre Hauptwaffe jedoch war ein überschweres Impulsgeschütz, dass mittig durch beinahe das komplette Schiff lief und genug Feuerkraft zur Verfügung stellte, selbst einem Schlachtschiff gefährlich zu werden. Das, sowie die restliche Batterien von schweren Impulsgeschützen, Torpedo- sowie Lenkwaffenrohren. Alles in allem konnte man damit beinahe jeden bekannten Schiffstyp schwer in Bedrängnis bringen. Zumindest, wenn die Crew des eigenen Schiffes gut war. Und da es sich in diesem Fall um eine Shantai-Crew handelte, durfte man durchaus davon ausgehen.

 

Wie die meisten Schiffe der Shantai waren die Telroga-Kreuzer schlanke, gefährliche Jäger, deren Doktrin aus Triff sie hart, triff sie sehr hart bestand. Geschwindigkeit und elektronische Gegenmaßnahmen waren eine beinahe ein noch wichtigerer Verteidigungspunkt, als eine dicke Panzerung. Vor allem, wenn man eigentlich gar nicht vorhatte, sich dem feindlichen Feuer zu stellen. Das war die Aufgabe von Schlachtschiffen und Dreadnoughts, die feindlichem Waffenfeuer mit einem verächtlichen Lächeln entgegentreten konnten, weil sie von mehrfach gestaffelten Schutzschilden und meterdicker Panzerung umgeben waren.

 

 

 

 

 

Nyrana wandte den Kopf zu Chiisu um, ihre Katzenohren zuckten sanft. „Du hast deine Hausaufgaben gemacht, wie ich sehe.“ Ein kurzes Lächeln umspielte ihre Lippen. Natürlich hast du das, fügte sie in Gedanken hinzu. Wahrscheinlich hätte er ihr sämtliche Daten herunterrattern können, angefangen von den Spezifikationen der Waffen, bis zur theoretisch besten Vorgehensweise in diversen Fällen. Was diese Sachen anging, war Chiisu ziemlich gut.

 

„Wir werden mit weiteren zwei Dutzend Kreuzern und Eskorten aufbrechen. Das militärische Kommando hat Sita’kisai Yeoran Misaru. Ich werde als Vertreterin des Reichs die Flotte zu unseren Welten im Cluster führen…“

 

„Und für alles verantwortlich sein, wenn es schief geht“, beendete Chiisu trocken ihren Satz.

 

Nyranas Ohren wackelten und knickten ein Stück zur Seite. „Exakt. Wir wissen nicht, was uns dort erwartet, wie viele Piraten dort wirklich sind und ob hinter all dem nicht noch mehr steckt. Wenn ja, werde ich die Verhandlungen führen. Oder den Sita’kisai anweisen, die Flotte in die Schlacht zu führen.“

 

Laci’ray räusperte sich dezent und Nyrana blickte zur Seite. Ein hochgewachsner Shantai mit breiten Schultern, im Nacken zusammengebundenen Haar und der schwarzblauen Uniform eines Sita’kisais, was einem menschlichen Flottenadmiral entsprach, trat näher.

 

Im Schlepptau hatte er einen missmutig dreinblickenden Captain sowie einen Mitarbeiter der Werft, in diesem Fall den leitenden Ingenieur. Auch dieser wirkte alles andere als glücklich. Eher wie jemand, der Besuch von sehr viel weiter oben erhalten und jetzt einem unkundigen erklären musste, wieso die Realität einige Formvorschriften eingeholt hatte.

 

 

 

Etwa drei Meter vor Nyrana blieb der Sita’kisai stehen, nahm Haltung an und schlug sich mit der geschlossenen Faust gegen die linke Brustseite und deutete eine Verneigung an. „Myjali Nyrana Na’saku, ich bin Sita’kisai Yeoran Misaru und grüße Euch.“

 

Nyrana erwiderte die Geste des Admirals und nahm ebenfalls Haltung an. „Sita’kisai Yeoran Misaru, ich bin Nyrana Na’saku, es ist mir eine Freude, Sie hier zu treffen.“

 

Er ließ den Arm sinken und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Eine Gemeinsamkeit, Myjali. Ich hätte nicht erwartet, Euch hier zu sehen.“ Ein kurzes Lächeln huschte über sein Gesicht, seine spitzen Eckzähne blieben jedoch verborgen.

 

„Oh, man hat Ihnen also über mich erzählt, wie ich sehe. Wenn ich Sie über den Grund ihres neuen Auftrags fragen darf, Sita’kisai: Strafe oder Patriotismus Ihrerseits?“

 

Das war der Moment, in dem der Captain hinter dem Admiral seine Fassung für eine lange Sekunde verlor und sich offensichtlich auf die Zunge biss.

 

 

 

Die Ohren des Admirals wackelten amüsiert. „Bekäme ich für jedes Mal, wo man mir diese Frage in den letzten Tagen gestellt hat, ein weiteres Schiff, würde ich eine Armada in die neue Welt führen, die nichts und niemanden zu fürchten bräuchte.“ Nun musste auch Nyrana schmunzeln.

 

„Aber um Eure Frage zu beantworten, Myjali. Sowohl das eine, als auch das andere. Man hat mir diese Aufgabe angeboten und ich habe sie sofort akzeptiert. Aber ich fürchte, ich habe irgendwo irgendwen verärgert, wieso sonst…“ Er unterbrach sich und räusperte sich.

 

Sein Blick fand Chiisu, der stumm dabeigestanden und zugehört hatte. „Ich sehe, Eure Begleitung besteht aus eben jenen Personen, von denen man mir bereits berichtet hat.“

 

„Das ist Chiisu Anderson, Terraner und Mitglied meines Stabes“, erklärte Nyrana nüchtern. Chiisu nahm Haltung an und berührte seine Brust mit der geschlossenen Faust und verneigte sich. „Sita’kisai.“

 

„Dürften wir erfahren, welche… Aufgaben ihr… Begleiter zu tun gedenkt? Wir sind auf einem Flottenschiff, nicht auf einem Vergnügungsschiff“, erklärte der Captain neben dem Admiral mit militärischer Kühle in der Stimme, die einen ausbrechenden Vulkan erstickt hätte.

 

„Das ist Captain Arami Kaslai. Er ist mein Adjutant in dieser Angelegenheit“, erklärte der Sita’kisai und warf einen vielsagenden Blick auf diesen.

 

Der Captain führte eine zackige, exakte Ehrenbezeichnung in Richtung Nyrana durch. Dann fand sein Blick wieder Chiisu. Nein, hier war keine große Sympathie im Spiel.

 

„Ich habe eine Ausbildung in Xenologie, genauer gesagt Xenohistorik, sowie eine Ausbildung als Sensortechniker in der Flotte der Terranischen Freien Union erhalten. Ich habe mich auch mit den Shantai-Äquivalenten befasst. Ich bin voller Hoffnung, nicht völlig nutzlos zu sein“, erklärte Chiisu höflich und mit einem bescheidenen Lächeln. „Gleichwohl bin ich nur allzu gerne bereit, Neues zu lernen. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Shantai nicht nur gute Lehrer, sondern auch über Geduld verfügen. Eine sehr angenehme Kombination.“

 

Was der Captain wirklich dachte, war offensichtlich. In seinen Augen war Chiisu das Bettspielzeug der Fürstin. Das war, wenn Chiisu ehrlich war, nicht das erste Mal, dass ihm so etwas direkt gesagt oder doch zumindest angedeutet wurde. Shantai waren, was andere Spezies betraf, meistens zwar sehr höflich, aber sie waren in nicht geringer Zahl der Meinung, den meisten Spezies überlegen zu sein. Was an ihrer jüngeren Geschichte und der nüchternen Tatsache liegen mochte, dass sie, zumindest körperlich, den allermeisten Humanoiden überlegen waren. Genetischer Optimierung und eiserner Disziplin sei Dank.

 

„Nun, wir werden sehen“, erklärte der Captain kühl. Er wandte sich zur Seite. „Sita’kisai, wir sollten die Gelegenheit nutzen und den Leiter der Werft anhören. Deswegen sind wir hier und Myjali kann sich dazu äußern.“

 

Der Mann trat vor und verneigte sich tief in Richtung Nyrana. „Myjali, es erfreut mich, Euch wiederzusehen.“

 

Nyrana nickte ihm mit einem Lächeln zu. „Regas Vear, ich hoffe dir geht es gut?“

 

Der ältere Shantai wackelte mit den Ohren. „Das Übliche, Myjali. Shantai, die Schiffe möchten, Shantai die es schnell möchten, die mich von der Arbeit abhalten, weil sie noch viel mehr möchten und…“ Er zuckte mit den pelzigen Ohren und nahm Haltung an, als würde er sich daran erinnern, dass noch weitere Anwesende existierten. Wahrscheinlich sogar die, über die er gerade eine sehr höflich formulierte Beschwerde ablieferte.

 

„Wir haben eine Liste von Unregelmäßigkeiten und Verstößen gegen die Vorschriften, die so lang ist, dass wir daran zum Planeten herunterklettern könnten“, erklärte Captain Kaslai eisig. Er zückte ein kleines Datenpad und begann vorzulesen. „Unautorisiertes Personal, dass an sicherheitsrelevanten Stellen der Werft zu kritischen Systemen Zugang hat. Umbauten an Schiffen, die nicht genehmigt wurden. Laderäume voller nicht auf meinen Listen stehendem Material. Personal, dass der Sita’kisai nicht genehmigt hat und…“

 

„Es gibt kein unautorisiertes Personal auf meiner Werft“, erklärte der Werftleiter überzeugt. Der Captain blickte ihn nicht einmal an, als er zu einer Erwiderung ansetzte. „Mein Personal hat bisher sechs Mal eine nicht autorisierte Person gestellt.“

 

„Und wo ist diese Person?“, erkundigte sich Nyrana höflich.

 

Der Captain starrte sie an, was beinahe schon unverschämt wirkte. „Es gelang meinen Männern nicht, sie zu fassen. Wir sind noch…“ Er wandte sich, gemeinsam mit den anderen Anwesenden um, als sich die Tür zum Raum öffnete, jemand hindurch schlüpfte und dann am Tastenfeld der Tür hantierte. „Ciantary hat sie abgehängt. Hoffentlich…“ erklang es von der Tür.

 

„Das ist sie!“, fauchte der Captain und seine Hand wanderte zu seiner Dienstwaffe. Ciantary wandte sich langsam um, ihre großen, braunen Kulleraugen weiteten sich. „Verdammt.“

 

Es gab erst ein- dann zweimal ein kurzes Geräusch, als die beiden Marinesoldaten gegen die sich unvermittelt nicht öffnende Automatiktür rannten. Captain Kaslai hatte die Waffe schon umklammert, als jemand zu lachen anfing. Es war Chiisu, der sich halb abwandte, um die Sache nicht noch zu verschlimmern. Mühsam erstickte er sein Lachen.

 

„Steckt Ciantary in Schwierigkeiten?“, erklang es von der Tür. Sie ging raschen Schritts näher und versuchte, Laci’ray zwischen sich und den wütenden Captain zu bringen, der kurz davor war, doch noch seine Waffe zu zücken.

 

„Nein, keine Schwierigkeiten. Du hast hier ja ungehinderten Zugang, Ciantary“, erinnerte Nyrana höflich.

 

„Könntet Ihr mich aufklären, Myjali?“, erkundigte sich der Sita’kisai trocken und mit amüsiertem Ohrenwackeln. Offenkundig genoss er die Verärgerung seines Untergebenen zumindest ein wenig.

 

„Ciantary gehört ebenfalls zu meinem Stab und ist meine leitende Chefingenieurin. Ihr den Zutritt zur Werft und dem Schiff, auf dem ich reisen werde, zu verwehren, wäre also reichlich dumm.“

 

„Und sinnlos“, fügte der Werftleiter mit dezentem Hüsteln hinzu.

 

„So? Dann öffnen wir mal die Tür und sehen, was passiert“, erklärte der Captain eisig. Er blickte kurz den Werftleiter an, dieser zuckte schließlich mit den Ohren und trat zur Tür, gab einen Code ein und diese schwang auf. Die beiden Wachen traten ein, sichtlich pikiert und verärgert.

 

„Festnehmen“, erklang es von Captain Kaslai eisig. Dass er nicht erschießen gesagt hatte, konnte ihm hoch angerechnet werden. Er sah aus, als wäre ihm der zweite Befehl wesentlich lieber gewesen.

 

„Aus welchem Grund ordnen Sie die Festnahme an, Captain?“, erkundigte sich der Sita’kisai höflich. Der Captain nahm Haltung an. „Verstoß gegen die Sicherheitsvorschriften, unerlaubtes Betreten von Flotteneigentum und Privatgelände, Widerstand gegen die Festnahme, Spionage und eventuell Sabotage. Nein, ganz sicher Sabotage!“

 

Der Werftleiter räusperte sich. „Captain, Ciantary hat ungehinderten Zugang zu allen Bereichen der Werft. Sie ist, wie bereits erwähnt, die Chefingenieurin von Myjali Na’saku.“

 

„Schön. Spionage von Flottengeheimnissen!“, fauchte der Captain.

 

Der Werftleiter seufzte laut. „Captain, es gibt auf diesen Schiffen nichts, was Ciantary nicht kennt, schon auseinandergeschraubt, wieder zusammengesetzt und dabei optimiert hat. Wenn ich anfange, die Verbesserungen, die sie vorgeschlagen und die wir eingebaut haben, aufzuzählen, müssen wir ihre kleine Expedition um ein paar Tage verschieben.“

 

„Sie ist kein reguläres Mitglied der Werft! Das ist ganz klar ein Verstoß gegen die Sicherheitsrichtlinien!“, erwiderte der Captain brüsk.

 

„Ja, das ist sie nicht. Leider. Ich habe schon unanständige Summen geboten, dass sich das ändert, aber…“ Der Werftleiter räusperte sich und beschloss, lieber nicht zu erwähnen, dass sie als Kompromiss Ciantary schlicht in jedem System Zugang gewährt und sogar Geldmittel dazu benutzt hatten, ihr diverse Extrawünsche zu erfüllen. Unterm Strich kamen bei ihren nach Lust und Laune durchgeführten Verbesserungen und Ergänzungen so viele Vorteile heraus, dass sich das für die Werft ohne Weiteres auszahlte. Der, natürlich inoffizielle, Befehl, sie nicht zu stören, sondern ihr höchstens etwas zu Essen und zu Trinken zu bringen, wenn sie irgendwo arbeitete, war natürlich nirgends verzeichnet.

 

Der Captain wandte sich zum Sita’kisai. „Sita’kisai, ich muss protestieren! Erklären Sie, dass diese Person hier zu verschwinden hat. Das ist keinesfalls militärisches Protokoll.“

 

Der Admiral dachte einen langen Moment nach, in dem Ciantary ein Stück schrumpfte. Schließlich wandte er sich an den Werftleiter. „Können Sie als ausgewiesener Ingenieur und Fachmann versichern, dass das, was diese junge Frau hier tut, im besten Interesse und Wohle der Flotte ist? Ich erwarte ihr Ehrenwort, bei dieser Sache.“ Seine Stimme hatte einen professionellen Klang angenommen, die Augen waren plötzlich hart geworden.

 

Der Werftleiter benötigte keine Sekunde, um zu überlegen. „Sita’kisai, Sie können davon ausgehen, dass es, wenn es hart auf hart kommt, den Göttern dafür danken werden, dass diese junge Frau an Ihrem Schiff herumgebastelt hat.“

 

„Ich nehme das mal als ein ja“, beschloss der Admiral und seufzte. „Sie kann bleiben, aber ich möchte eine Aufstellung von allen Verbesserungen, die sie getan hat und die sie plant. Ein wenig Formalitäten müssen wir einhalten, stimmt Ihr mir zu, Myjali?“

 

Ciantary trat schüchtern zwei Schritte vor und reichte dem Werftleiter ein kleines Datenpad. Dieser warf einen Blick darauf und begann, zu scrollen. Und zu scrollen. „Erledigt. Ich brauche etwas Zeit, um das durchzugehen, wenn die Herrschaften mich entschuldigen würden?“

 

Sowohl der Admiral, als auch Nyrana nickten. Der Werfleiter verneigte sich, machte auf dem Absatz kehrt und verschwand durch die sich wieder tadellos öffnende Tür.

 

„Damit bliebe nur noch die undeklarierte Fracht in den Laderäumen von einigen Schiffen“, schoss der Captain sein letztes Magazin ab.

 

In diesem Fall trat Chiisu vor und reichte dem Admiral ein Datenpad. „Eine Aufstellung.“

 

Dieser scrollte durch die Liste. „GXS-KIII Gewehre? Die Anschaffung dieser Waffe ging erst vor einem Monat über meinen Schreibtisch, können Sie mir das erklären?“, erkundigte er sich mit einem unschuldigen Lächeln.

 

Der Captain öffnete den Mund, doch etwas sagte ihm wohl, besser nichts zu sagen, bevor Nyrana sich geäußert hatte. Eine falsche Anschuldigung, was das betraf, konnte ihn im schlimmsten Fall die Karriere kosten.

 

„Die neuen GXS sind eine hervorragende Waffe und ich denke, wenn wir auf Piraten stoßen, sollten unsere Enterkommandos das Beste haben, was wir derzeit herstellen können, oder?“ Der Sita’kisai machte eine zustimmende Geste. „Deswegen haben wir diese Waffe geordert, Myjali. Aber ich habe niemals damit gerechnet, sie für diese Mission zu bekommen. Wenn ich fragen darf… wie haben Sie das geschafft?“

 

Sie warf einen Seitenblick zu Chiisu, der unbeteiligt neben ihr stand. „Sie hat den Leiter der Waffenfabrik angewiesen, zweitausend Gewehre bereitzustellen, Sita’kisai. Der Mann wollte seinen Job nicht verlieren, also hat er getan, was seine Chefin ihm befohlen hat.“

 

Der Admiral hatte weiter auf dem Pad gescrollt, dann zuckten seine Ohren. „Schön, ich verstehe. Zufällig gehört diese Waffenschmiede Eurer Familie, Myjali. Was ein Zufall. Sie haben nicht zufällig noch ein paar Schlachtschiffe herumliegen?“

 

„Tatsächlich hätte ich eines, was zur Verfügung steht, Sita’kisai. Aber leider ohne den entsprechenden Antrieb für diese Mission. Wenn wir die Sache um vier Monate verschieben…“

 

„Drei, wenn Ciantary ein paar Vorschriften ignorieren darf“, erklang es leise von der Seite. Die Augen des Captains verengten sich zu schmalen Schlitzen, als würde er Ziel nehmen.

 

„Ich fürchte, der Rat und die Admiralität sehen das in trauter Einigkeit anders“, erklärte der Sita’kisai mit sanftem Lächeln.

 

„Wir nehmen, was wir haben und hoffen das Beste“, beschloss Nyrana seufzend. Sie blickte zu Chiisu. „Du hattest noch ein Anliegen, oder?“

 

Dieser nickte. „Sita’kisai, gibt es weitere Informationen über die Spezies, die wir dort erwarten? Das bisherige Material war recht dürftig.“

 

Der Admiral dachte kurz nach. „Wenn Sie das haben, was mir zur Verfügung stand, was ich stark annehme und hoffe, bleibt es vorerst bei dem wenigen, Mr. Anderson. Ich nehme nicht an, dass die Terraner etwas von dieser Gegend wissen?“

 

Tatsächlich war das eine durchaus interessante Frage, der Chiisu bereits nachgegangen war. „Ich fürchte nicht, Sita’kisai. Die Union hatte schon einige Forschungsschiffe in dieser Region, aber das ist länger her und auch diese Schiffe hatten starke Probleme, in dieser Region zu manövrieren. Die Terraner kennen ähnliche Sektoren, aber nicht in diesem Umfang und nähe zueinander. Es ist, äußerst ungewöhnlich, dass eine ganze Region derartig abgeschottet wird. Es wirft Fragen auf.“

 

„Wir sind wegen den Antworten auf einige dieser Fragen auf die Mission angesetzt worden. Nun, ich denke, wir haben alle noch viel zu tun. Es wäre sehr hilfreich, wenn Ihr Captain Kaslai eine Liste des zusätzlichen Materials in den Laderäumen geben könntet, Myjali.“

 

Nyrana nickte freundlich lächelnd. „Das lässt sich arrangieren.“

 

 

 

Interessanterweise folgte keine einzige Beschwerde über den Inhalt der Laderäume, nachdem der Captain schließlich eine Liste erhalten hatte. Entweder war selbst Captain Kaslai nicht böse, dass sie eine ganze Reihe von hochmoderner Ausrüstung, die der regulären Flotte noch gar nicht zur Verfügung stand und von Nyranas eigenem Vermögen bezahlt worden war, zur Verfügung stand, oder aber der Sita’kisai hatte den Captain dezent daran erinnert, wer das Kommando hatte. Und dass es selten klug war, sich über Geschenke zu beschweren.

 

 

 

*

 

 

 

Die Kabine, die auf der Tiashi zur Verfügung gestellt wurde, war durchaus geräumig, aber natürlich musste man gewisse Kompromisse eingehen. Auf einem Raumschiff war nur begrenzt Platz, eine große, geräumige Kabine war Platzverschwendung. Und Raum war auf einem Schiff mitunter das kostbarste Gut. Auf der anderen Seite hatten die Shantai ein gewisses Standesdenken, was in Nyranas Fall bedeutete, dass sie als Fürstin eines der großen, geachteten Familien der Shantai eine durchaus luxuriöse Kabine zugestanden bekam.

 

In diesem Fall sah das so aus, dass es sich um drei miteinander verbundene Räume handelte. Einmal jenen, der direkt vor der Tür zum Gang positioniert war und den Raum von Laci’ray als Leibwächterin beinhaltete. Durch diesen hindurchgehend, erreichte man den Hauptraum, in dem Nyrana kleinere Besprechungen und Ähnliches abhalten konnte und der als ihr Arbeitszimmer fungierte.

 

Daran angeschlossen, gab es ein kleines Schlafzimmer und Bad, wobei Letzteres nur einige Quadratmeter groß war und neben einer Toilette eine Dusche enthielt. Zum Ausgleich für die fehlenden Bademöglichkeiten gab es zwei größere Schwimmbäder auf dem Schiff, die einerseits den Offizieren, zum zweiten der Mannschaft zur Verfügung standen.

 

 

 

„Zumindest hat der Captain darauf verzichtet, mir eine Decke vor das Bett zu legen, auf der ich schlafen muss“, bemerkte Chiisu trocken und wuchtete die beiden Koffer auf das Bett, die er selber getragen hatte. Natürlich gab es für all diese Dinge reichlich Personal, aber irgendwie hatte er kein gutes Gefühl, einfach nur als Nyranas Schoßhündchen oder Ähnliches neben ihr herzulaufen. So mochten ihn zwar einige, vielleicht sogar die Mehrzahl, sehen, aber das war er nicht. So sah er sich auch nicht. Die letzten Tage hatte er damit verbracht, möglichst viele Informationen über ihr Ziel aufzusaugen. Wenn sich das hier alles als kleines, unwesentliches Problem herausstellte, würden die Shantai so viel neuen Lebensraum bekommen, dass es für Jahrhunderte reichte. Und das unter den großzügigen Bedingungen, in denen die Shantai Welten besiedelten.

 

 

 

Die letzten beiden Tage vor der Abreise waren anstrengend gewesen, angefüllt von Vorbereitungen, Meetings und einem dünnen, sehr dünnen Strom an neuen Informationen. Jene Piraten schienen in letzter Zeit mutiger zu werden. Mittlerweile war die Kommunikation zu den neuen Kolonien besser, die Transfer- und Übertragungsstationen größer und bemannt, sodass in Kürze eine dauerhafte Verbindung zum restlichen Reich existieren würde. Die Zahl der Versuche, tiefer in das System einzudringen, wuchs stetig.

 

 

 

Ein junger, weiblicher Leutnant begann zusammen mit Chiisu und Laci’ray, die mitgebrachten Habseligkeiten der Fürstin zu verstauen. Bis nur noch zwei Koffer übrig waren, dann komplimentierte Laci’ray den Leutnant freundlich, aber bestimmt heraus. Als sich die Türen schlossen, seufzte Laci’ray, griff in eine ihrer eigenen Tasche und begann, das Quartier auf Spionagesysteme zu untersuchen. Natürlich war es ein geradezu frevlerischer Gedanke, dass man Fürstin Nyrana Na’saku abhören könnte, aber auf der anderen Seite… man konnte niemals völlig sicher sein.

 

Nachdem der erste, gründliche Scan der Räumlichkeiten zu Laci’rays Zufriedenheit abgeschlossen war, schob sie einen Speicherstick in den Computer des Raumes. Nach außen hin passierte gar nichts, doch im System selber wurde eine Subroutine implementiert, die auch hier dafür sorgte, dass selbst von der Brücke nicht ohne Weiteres Zugriff auf diesen Raum und seine Systeme genommen werden konnte. Eine Reihe von Daten wanderte über den Schirm und erstellte zusätzlich einen Bericht. Laci’ray drückte ihn nach einem kurzen Blick darauf weg.

 

Wobei Subroutine für die kompakte, künstliche Intelligenz schon beinahe eine Beleidigung war, wie Ciantary, die Erfinderin des Systems, es einmal beiläufig erwähnt hatte und vom System selbst kurioserweise im gleichen Moment akustisch bestätigt, worden war.

 

Das junge Technikgenie hatte ein Quartier direkt nebenan bezogen und wahrscheinlich gerade dabei, zusätzliche Computersysteme und Ähnliches in ihr eigenes Quartier zu integrieren. Also alles ziemlich normal, was die Umstände ihrer neusten Reise anging.

 

 

 

Chiisu ließ sich nach hinten auf das Bett fallen und starrte an die stahlgraue Decke. „Wie lange sind wir unterwegs?“, fragte er beiläufig, obwohl er die Zahl natürlich sehr genau wusste. Aber es war besser, ein Gespräch über Dinge, die man wusste, zu führen, als zu schweigen.

 

„Geschätzt etwa neunzehn Tage von hier bis zu unserem Ziel“, erwiderte Laci’ray und betastete weiter akribisch das Innere einer kleinen, hölzernen Kommode, um es auf ungewöhnliches zu überprüfen. Wenn ein Abhörsystem nämlich komplett abgeschaltet war, konnte es einer elektronischen Entdeckung eventuell entgehen. Sie hatte genug davon angebracht, um das zu wissen.

 

„Ich weiß nicht, was ich von diesem Captain halten soll. Er wirkt irgendwie…“

 

„Wie ein typischer Karriereoffizier. Du hast das Glück gehabt, bisher eher nette Vertreter unserer Spezies kennenzulernen“, brummte Laci’ray und streckte sich, bis sie mit der Schulter direkt gegen die Kommode drückte, um auch den letzten Winkel des Schranks abzutasten.

 

„Wenn du zu den netten gehörst, bekomme ich langsam Angst“, erwiderte Chiisu und schmunzelte. Laci’ray drehte den Kopf und funkelte ihn an. „Wollen wir testen, ob du diese Kommode fangen kannst?“

 

„Danke, kein Bedarf. Ich wollte mit dem Besuch der Krankenstation warten, bis wir wieder den Übungsraum als Alibi angeben können.“

 

Nyrana starrte auf den Bildschirm auf ihrem Schreibtisch. „Wenn du es genau wissen willst, Captain Arami Kaslai ist ein hoch dekorierter Offizier und…“ Nyranas Ohren zuckten, „…hat eine Akte, die zu einem guten Teil verschlüsselt ist.“

 

„Geheimdienst, oder Sonderkommando?“, fragte Chiisu gähnend. Sie hatten von der Werft abgelegt, kaum dass die Schleuse hinter ihnen geschlossen war. Mittlerweile hatten sie das System verlassen und waren in den Nullraum eingetreten. Das gespenstische, dunkelrote Glühen, dass hier herrschte, schlug bei einigen auf die Psyche, bei Chiisu förderte es seltsamerweise scheinbar die Ausschüttung von Schlafhormonen.

 

„Das ist eine sehr gute Frage, über die ich mit dem Sita’kisai reden werde. Wann ist das Treffen, Laci?“

 

„In einer Stunde“, erwiderte diese wie aus der Pistole geschossen und zog den Arm zurück.

 

Einen Moment später fiel Nyrana neben Chiisu auf das Bett. „Was ist los? Die übliche Nullraum-Müdigkeit?“, neckte sie ihn und rückte näher, bis ihre Nasenspitze die seine berührte.

 

„Aber Myjali, man könnte meinen, ihr trachtet danach, euch an Eurem Cay’sha zu vergehen“, erwiderte Chiisu mit gesenkter Stimme und schielte unter halb geschlossenen Augenlidern hervor.

 

Cay’sha war jene Bezeichnung, die dem Wort Spielzeug recht nahe kam. Während er es mit Humor nahm, war es selten klug, so eine Bezeichnung in Nyranas Hörweite zu verwenden.

 

„Ja, das könnte gut sein, lange und ausführlich. Das soll gegen Kopfschmerzen helfen, weißt du?“ Blitzschnell zog sie Chiisu an sich und küsste ihn und zupfte an seiner Unterlippe. Als sie über ihm lag und ihm in die Augen sah, wackelte sie mit den pelzigen Katzenöhrchen. „Ich habe eine Aufgabe für dich, mein Lieber.“

 

„Oh, und ich dachte, du willst nur einfach mit mir kuscheln. Wenn du willst, dass ich mich an Captain Kaslai ranmache, vergiss es.“

 

„Interessante Idee. Ich wusste gar nicht, dass du in diese Richtung schwingst“, erklang es von Laci, die mittlerweile in einem Sessel saß und zu dösen schien.

 

„Tu ich auch nicht, wie du sehr wohl weißt“, erwiderte Chiisu und umfasste vorsichtig Nyranas Katzenohren. „Also, was soll ich tun?“

 

„Finde etwas über Captain Arami Kaslai heraus. Sprich mit der Besatzung. Und außerdem, wie es sonst so auf dem Schiff aussieht. Alles ist wichtig. Ich will mehr wissen, als das, was in den Akten steht.“

 

„Verstanden. Ich stelle also nur Fragen. Wer holt mich dann im Zweifelsfall aus der Brig?“

 

„Das kann dann Laci machen“, erwiderte Nyrana schmunzelnd. Die Wahrscheinlichkeit, dass man ihn ins Bordgefängnis verfrachtete, war zwar gering, auf der anderen Seite…

 

„Wenn ich Zeit habe, gerne. Und Lust“, erklang es gemächlich aus dem Sessel. „Vielleicht tut ihm ja eine oder zwei Nächte im Schiffsgefängnis mal ganz gut. Er ist etwas widerspenstig geworden in letzter Zeit, findest du nicht?“

 

„Das ist dein Einfluss, fürchte ich“, bemerkte Nyrana amüsiert und vergrub ihr Gesicht in seinem dunkelblonden Haar und schloss die Augen.

 

Chiisu räusperte sich unter ihr. „Tatsächlich eher der, von euch beiden, meine Liebe. Ihr seid wirklich… interessante Vorbilder.“

 

Nyranas Antwort bestand darin, dass sie ihm in die Unterlippe biss. Nach einem kurzen Handgemenge schielte Nyrana zur Seite. „Ich muss noch Duschen. Wer wäscht mir den Rücken?“ Sie blinzelte in Chiisus Richtung und setzte sich auf. „So wie ich das sehe, hast du dich gerade freiwillig gemeldet, Äffchen.“

 

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